Seit seinem Unfall ist Karsten I. auf seine Rettungshündin angewiesen – nun ist auch sie schwer krank. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Hannover. Jenny ist eine achtjährige Rettungshündin, und manchmal, wenn sie Gefahr wittert, tut sie für Rettungshunde sehr ungewöhnliche Dinge. Sie legt sich vor die Füße ihres Herrchens. So, dass er auf keinen Fall weitergehen kann.
Beim ersten Mal war Karsten I. irritiert, sogar ein wenig ärgerlich. Es fällt ihm ja auch so schon schwer genug, vorwärts zu kommen, er brauchte keine Hündin, die es ihm noch schwerer macht. Bis er merkte, dass sie einen guten Grund hat. Jenny, die Hündin, ist erst ruhig, wenn er sich hingesetzt hat. Wenn er dann sitzt, spürt er meist kurz darauf wieder die Schmerzen. So stark sind sie, dass es ihm fast den Atem nimmt und sein Bein ihm nicht mehr gehorcht. Die Hündin, so scheint es, sieht die Anfälle voraus.
Jenny liegt auf ihrem Platz vor der Heizung, den Kopf auf den Pfoten, Karsten I. sieht zu ihr hinüber. „Manchmal spürt sie eher, was mit mir los ist, als ich selbst.“
Karsten I. ist 42 Jahre alt, eher klein, kräftig. Beim Gehen stützt er sich auf einen Stock. An schlechten Tagen nimmt er den Rollator. Es ist sechs Jahre her, da hatte er einen Unfall. Er geschah, als er selbst wieder jemandem half. Karsten I. war Rettungssanitäter. Bei einem nächtlichen Einsatz mussten sie eine Patientin aus der Wohnung in den Rettungswagen hinuntertragen. Reine Routine, eigentlich. Aber die Patientin war ungewöhnlich schwer, und auf der Treppe hatte sie einen Krampfanfall. Um sie festzuhalten, drehte und wand er sich, auf einmal spürte er einen heftigen Schmerz im Rücken. „Wahrscheinlich hätte ich da gleich einen Rettungswagen für mich selbst anfordern sollen.“ Stattdessen biss er die Zähne zusammen, fuhr die Schicht zu Ende und legte sich am Morgen daheim ins Bett. Es würde dann schon alles gut gehen, dachte er. Ein Irrtum. „Als ich aufwachte, habe ich meine Beine nicht mehr gespürt.“
Es war der Beginn einer einjährigen Odyssee zu Arztpraxen, Krankenhäusern und Rehakliniken. Eine Bandscheibe war herausgesprungen. In ein paar Wochen würde er wieder fit sein, dachte er anfangs. Aber dann verordneten die Ärzte doch die Operation. Der aufwendige Eingriff war zwar erfolgreich. Aber dann wuchs das Narbengewebe um den Rückennerv und schnürte ihn immer stärker ein. Die Ärzte operierten erneut. Nach einem Jahr dachte I., er könne seinem Rücken wieder vertrauen. Die Schmerzen, glaubte er, würden schon wieder verschwinden. Drei Wochen hielt er durch. Dann setzte er sich eines Abends an das Steuer seines Autos und konnte das Gaspedal nicht mehr drücken. Sein Bein gehorchte nicht mehr. „Da ahnte ich, dass es nicht mehr weitergeht.“
Jeder Schritt fällt Karsten I. schwer. Bücken geht nicht, selbst greifen ist oft ein Problem. Manchmal hält er kurz inne, holt tief Luft und blickt starr nach vorn. Die Ärzte haben ihm eine Pumpe implantiert, sie sitzt gleich unter der Haut und pumpt Morphium direkt in den Rücken. Das Morphium lindert die Schmerzen. Zum Verschwinden bringt es sie nicht.
Karsten I. fällt es noch heute schwer zu akzeptieren, dass er in seinem Beruf nicht mehr arbeiten kann. „Jedes Mal, wenn ein Rettungswagen an mir vorbeifährt, ist das ein Stich ins Herz.“ Auf dem Regal über seinem Bett stehen Dutzende Krankenwagen im Miniaturformat. Die Wand daneben hängt voller Hundefotos. Die meisten zeigen Jenny, seine Schäferhündin. Jenny im Wald, Jenny auf der Wiese, Jenny mit seinem Patenkind.
Jenny war in einer Welpenklappe abgelegt worden, Karsten I. hat sie vor acht Jahren aus dem Tierheim geholt, in jenem Jahr, in dem seine Freundin bei einem Verkehrsunfall gestorben war. Jenny ist seine ständige Begleiterin, und weil er Rettungssanitäter war, hat er sie zur Rettungshündin ausgebildet. Einmal hat sie zum Beispiel eine Frau gefunden, die nach einem Sturz bewusstlos in ihrem Garten lag. Wenn Karsten I. von den schweren Schmerzmitteln bedröhnt durch die Straßen irrte, führte sie ihn nach Hause. Bei einem Spaziergang vor einigen Monaten jedoch blieb sie selbst fiepend zurück. Der Tierarzt diagnostizierte eine Hüftgelenksdysplasie. Es ist eine schwere, quälende Erkrankung. Jenny sollte schon eingeschläfert werden. „Aber da sprang sie regelrecht noch mal vom Tisch auf.“
Nun wird sie behandelt. Zum Beispiel mit Krankengymnastik, die allein 100 Euro im Monat kostet. Das ist eine stattliche Summe für jemanden, der von gut 700 Euro Rente und etwas Wohngeld lebt. Karsten I. bräuchte dringend ein spezielles Bett, das höher und auf seine Rückenprobleme zugeschnitten ist, statt des niedrigen durchgelegenen Exemplars, in dem er oft vor Schmerzen kaum schlafen kann. Außerdem muss er noch das Darlehen abstottern, das er für eine neue Waschmaschine aufnehmen musste. Draußen hält Karsten I. stets Ausschau nach Pfandflaschen, die er zum Supermarkt bringen kann. Aber das reicht nicht, um die Löcher zu stopfen, die Behandlung und Medikamente reißen.
Karsten I. sagt, seine eigenen Bedürfnisse seien ihm nicht so wichtig. Seiner Hündin jedoch würde er jedes Leiden gern ersparen. „Lieber habe ich einen leeren Kühlschrank.“ Was Schmerzen bedeuten können, weiß er schließlich sehr genau.
Von Thorsten Fuchs