Jahrzehnte lang arbeitete er als Lkw-Fahrer. Dann warf eine Krankheit Josef Matussek aus der Bahn. Jetzt könnte er wieder auf die Beine kommen – doch er braucht Unterstützung. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Der Kommunismus war nichts für ihn. „Da gab es nur Lug und Betrug, ständig brauchte man Kontakte, um eine Wohnung oder einen Job zu bekommen“, sagt Josef Matussek (Name geändert). Er hatte gerade geheiratet und war Vater eines Sohnes geworden. „Im Kommunismus sollte mein Kind nicht aufwachsen“, sagt er. Und darum siedelte der gebürtige Oberschlesier mit seiner Familie in den Achtzigern aus Polen in die Bundesrepublik aus.
Mit viel Pioniergeist baute er sich in Deutschland eine Existenz auf. Der Aussiedler hatte daheim eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht. „Aber ich hatte an russischen und ungarischen Lastwagen gelernt – damit brauchte man hier natürlich niemandem zu kommen“, sagt er. Also suchte er sich Stellen als Lkw-Fahrer. Erst im Ruhrgebiet, dann in Hannover, weil es hier bessere Angebote gab. „Ich habe immer gerne gearbeitet“, sagt der 57-Jährige.
Fast 30 Jahre auf dem Lastwagen
Matussek sitzt am Tisch, ein gerader, bodenständiger Mann. Jemand, dem man zutraut, dass er anpacken kann. Doch er wirkt ausgelaugt, wenn er stockend von seinem Leben erzählt. In seiner kleinen Wohnung hat er nur wenige Möbel. Alles ist mit großer Akkuratesse aufgeräumt, auf dem Glastisch stehen vier Adventskerzen, an den Wänden hat der gläubige Katholik Bilder von der Gottesmutter und dem Papst aufgehängt.
Fast 30 Jahre lang hat er als Lkw-Fahrer gearbeitet. Viel war er im Großraum Hannover unterwegs, aber er fuhr auch Touren bis München oder Stuttgart. „Von Babynahrung bis Sprengstoff habe ich alles transportiert“, sagt er und lacht. Er wirkt meistens müde, wie jemand, der eine große Anstrengung hinter sich hat, aber in solchen Momenten blitzt hinter dem Schleier der Apathie eine Verschmitztheit auf, die immer noch lebendig ist.
Es ist jetzt zweieinhalb Jahre her, dass er krank wurde. Es fällt dem gestandenen Trucker nicht leicht, darüber zu reden. „Nervenzusammenbruch, Burn-out, Depression“, sagt er und zuckt mit den Achseln wie jemand, zu dessen Selbstbild solche Dinge doch eigentlich gar nicht passen.
Dann war die Arbeitsstelle weg
„Ich habe nicht gut auf mich aufgepasst“, sagt er heute. Er habe sich stressen lassen und auf Achse unregelmäßig und ungesund gegessen. Er litt unter Bauchschmerzen und Durchfall, dazu kamen Antriebslosigkeit und Schlafstörungen. Die Ärzte gaben ihm falsche Antidepressiva, die alles noch viel schlimmer machten. Monatelang war er krankgeschrieben, zwischenzeitlich landete er in der Psychiatrie, und nach 17 Jahren verlor er seine Stelle in einer Spedition.
„Der wahre Grund für meine Krankheit wurde lange nicht erkannt“, sagt er. Eine Ärztin fand schließlich heraus, dass eine Stoffwechselerkrankung die Ursache seiner Probleme war. „Das Zusammenspiel von den Bakterien in Dünndarm und Dickdarm funktioniert nicht“, sagt er, als würden da zwei Arbeitskolonnen derselben Firma aneinander vorbei planen.
Heute achtet der schlanke Mann auf seine Ernährung. Er kennt sich aus mit Ballaststoffen, probiotischen Kulturen und Vitaminen. Vor einem Jahr verschwand der Durchfall, der ihn lange ausgezehrt hatte. „Doch als ich gelernt hatte, mit der Krankheit umzugehen, war es schon zu spät“, sagt er. Sein Job war weg, die Frau an seiner Seite war weg, und seine Ersparnisse waren auch weg.
Medikamente kosten viel Geld
Matussek nimmt heute viele Medikamente, auch teure. „Als ich noch gearbeitet habe, hätte ich mir die sogar leisten können“, sagt er. Die Mittel helfen ihm, langsam gehe es wieder aufwärts. Das Problem ist aber, dass die Krankenkasse die Präparate nicht bezahlt: „Sie gelten als Nahrungsergänzungsmittel“, sagt der Sozialarbeiter, der ihn betreut. Im Monat kosten die Mittel oft mehr als 100 Euro.
Gemeinsam haben sie einen Haushaltsplan aufgestellt. Demnach bekommt Matussek Arbeitslosengeld von etwa 760 Euro monatlich. Wenn er Miete, Strom und Telefongebühren bezahlt hat, bleibt davon kaum etwas übrig. „Er hat seinen Dispo-Kredit von 1300 Euro ausgereizt und zusätzlich noch etwa 1300 Euro private Schulden“, sagt der Sozialarbeiter.
Matusseks letzter richtiger Urlaub liegt Jahrzehnte zurück. „Meine Mutter in Schlesien habe sich seit drei Jahren nicht mehr besuchen können“, sagt er. „Lebensmittel bekomme ich oft von der Tafel, weil ich sie mir nicht leisten kann.“ Trotzdem unterstützt er noch seine geschiedene Frau, die an Krebs erkrankt ist, mit einer kleinen Summe.
Es gibt einen Hoffnungsschimmer
Es gibt da einen Silberstreif am Horizont. Vor einiger Zeit hat er einen Mini-Job gefunden. In einem Autohaus wäscht er Wagen und hilft beim Lackieren. „Mit meinem Arbeitgeber komme ich prima klar, mit den Kollegen auch“, sagt er. Matussek schüttelt ungläubig den Kopf: „Alle suchen immer junge, kerngesunde Arbeitskräfte – und trotzdem habe ich jetzt mit 57 Jahren vielleicht wieder eine Perspektive.“
Mit etwas Unterstützung könnte es ihm tatsächlich gelingen, den Teufelskreis aus Krankheit, Arbeitsunfähigkeit und Geldsorgen noch einmal zu durchbrechen. Fragt man ihn, was er sich wünscht, muss er nicht lange überlegen. Gesundheit, sagt er. Für ihn ist Gesundheit gleichbedeutend mit Geld für die Mittel, die ihm helfen. Und dann ein Job, in dem er seine Schulden abarbeiten kann. „Vielleicht irgendwann wieder eine Freundin“, sagt er und lacht verlegen. Wenn er lacht, ist er ein gut aussehender Mann. Er wäre noch nicht zu alt für einen neuen Anfang.
Von Simon Benne