Der erste Bieterwettstreit entbrennt am Sonntagnachmittag bei einem Porträt des Talkmasters Roger Willemsen: Der Startpreis von 60 Euro ist bereits nach wenigen Sekunden Geschichte, in Zehnerschritten steigern sich die Gebote, nach drei Minuten steht fest: Das Schwarzweißfoto des Anfang 2016 verstorbenen Willemsen wechselt für 170 Euro den Besitzer – Geld, das die Fotografin Karin Blüher nicht für sich behält, sondern das direkt an die Weihnachtshilfe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung geht.
Seit Ende März hat der Kunstverein Burgwedel-Isernhagen im KulturKaffee Rautenkranz in Isernhagen F.B. einen 60 Bilder umfassenden Ausschnitt aus dem Werk der langjährigen Bildjournalistin der HAZ präsentiert. Fünf Jahrzehnte lang hatte die heute 80-jährige leidenschaftliche Menschenfreundin das politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Leben in Bildern festgehalten. Ihre Arbeit empfindet Blüher auch heute noch als Traumberuf: „Ich hatte eine paradiesische Zeit“. Für sie unterstützen Bilder das Gedächtnis, „sie wecken gefühlsmäßige Erinnerungen“.
Dass dies Karin Blüher in besonderem Maße gelungen ist, bescheinigten ihr gestern viele Besucher der Finissage: „Du blickst von außen in die Seele der Menschen“, lobte beispielsweise eine Frau. HAZ-Kolumnist Michael B. Berger erinnerte in seiner Einführung in die Versteigerung auch an seine persönlichen Erlebnisse mit Karin Blüher. Diese habe sich stets Zeit genommen, „nie geknipst, sondern vorausgesehen, was kommt“ – und das seit den Sechzigerjahren, „als der Hawaiitoast die Gourmetküche eroberte“. Egal ob Willy Brandt, Loriot oder Peter Ustinov – „Karin Blüher zeigt das bunte grelle Leben, und das meist in Schwarzweiß“.
Und ihre Fotos sind begehrt: Als Auktionator Mathias Müller-Wolfgramm das erste Bild aufrief, machte Besucherin Elke Krüger-Hespe gleich Nägel mit Köpfen – und erwarb die ganze vierteilige Serie für 240 Euro. „Ein bisschen Heimat“ für das neue Haus ihres Sohnes in Mecklenburg, begründete sie den Kauf. Bildhauer Kurt Lehmann für 70 Euro, Sänger Al Jarreau für 100 Euro, Willy Brandt für 140 Euro, Schriftsteller Harry Rowohlt für 200 Euro und Schauspieler Otto Sander gar für 250 Euro – viele Fotos fanden reißenden Absatz, was Jan Sedelies als Koordinator der HAZ-Weihnachtshilfe sehr freute: „Das ist eine Riesenunterstützung“.
Und für die sichtlich überwältigte Karin Blüher schloss sich mit dieser sozialen Aktion ein Kreis – hatte sie doch schon 1975 die Motive der allerersten Saison der HAZ-Weihnachtshilfe für die Nachwelt erhalten.