Die 89-jährige Linda P. spart eisern – und kann sich doch keinen neuen Kühlschrank leisten. ?Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe
Wenn man sie fragt, wie es ihr geht, lächelt sie: „Eigentlich gut“, sagt sie. Wie so vielen aus ihrer Generation liegt ihr das Jammern nicht. Eher beiläufig erzählt sie später, dass ihr Pullover so weit sitzt, weil sie nach einem Sturz vom Fahrrad lange nicht wieder auf die Beine gekommen ist und 30 Pfund abgenommen hat. Es klingt fast wie eine Entschuldigung. „Ich bin klapperig geworden“, sagt Linda P. (Name geändert). Bald wird die zierliche Frau 90 Jahre alt.
Geboren wurde sie in Hannover, doch im Krieg zog ihre Familie in dieses Dorf, weil ihre Eltern hier ein Wochenendhäuschen hatten. Bis heute lebt sie hier, im Umland Hannovers. Viel Grün, viel Fachwerk. Ein Idyll. Und in ihrer kleinen Wohnung hier sitzt diese zerbrechliche alte Dame, die am liebsten nicht viel Aufhebens darum machen möchte, dass ihr Leben ein permanenter Kraftakt ist.
Der Fall von Linda P. ist ein Musterbeispiel dafür, dass Altersarmut auch jene treffen kann, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Besonders Alleinstehende. Besonders Frauen. Es braucht dazu nicht einmal einen besonderen Schicksalsschlag, eine Krankheit oder ein Unglück. Schon ein paar eher unspektakuläre biografische Weichenstellungen können dazu führen, dass ein Schatten über den letzten Lebensjahren liegt.
Ehe sie den Schulabschluss machen konnte, wurde sie zum Arbeitsdienst eingezogen. Später arbeitete sie in einer Weberei und als Helferin in einem Altenheim. Keine hochbezahlten Stellen; große Sprünge konnte sie nie machen. Doch wirklich eng wurde es erst im Alter. Heute bekommt sie eine Rente von 889 Euro. Das ginge eigentlich, sagt sie – doch weil ihre Wohnung eine hoffnungslos antiquierte Heizungsanlage hat, kommen zur Miete exorbitante Energiekosten dazu. Diese sind das Problem.
„Frau P. lebt äußerst sparsam – aber für größere Anschaffungen kann sie nichts zur Seite legen“, sagt die rechtliche Betreuerin, die ihr seit einem Jahr zur Seite steht. Natürlich könnte die alte Dame fortziehen. In eine Wohnung mit einer vernünftigen Heizung. „Aber ich glaube nicht, dass ich anderswo noch Wurzeln schlagen könnte“, sagt die 89-Jährige. Also lebt sie lieber damit, dass im Winter Folien vor den Fenstern hängen, um das Wohnzimmer warm zu halten. Und sie gönnt sich nichts. Vor Kurzem habe sie in einem Prospekt ein paar Schuhe entdeckt, erzählt sie: „So billig, dass ich sie mir leisten konnte – ich habe gejubelt.“
Sie versorge sich noch selbst, sagt sie stolz. Vor die Tür kommt sie nur noch selten, die Knie machen Probleme. Einmal in der Woche bringen Mitarbeiter der örtlichen Tafel Gemüse und andere Lebensmittel vorbei. „Ich koche selbst“, sagt sie. Das kann jedoch eine Stunde dauern, denn sie muss Kartoffeln, Fleisch und Gemüse nacheinander garen. Sie klopft auf den 1968 angeschafften Gasherd: „Da geht nur noch eine von vier Flammen, und die liegt in den letzten Zügen.“
Noch mehr Sorgen macht ihr aber der Kühlschrank. Dessen Tür schließt nicht mehr richtig. Linda P. hat sie mit einem Strick zugebunden und mit Lappen notdürftig abgedichtet. „Wenn ich etwas brauche, muss ich erst den Kühlschrank aufknoten“, sagt sie. „Eigentlich nicht schlimm, ich habe ja Zeit.“ Doch wenn der Kühlschrank ganz den Geist aufgibt, kann sie keine Lebensmittel mehr einfrieren. Und weil sie nicht mehr so mobil ist, kann sie ja nicht täglich etwas frisches kaufen.
Linda P.s Alltag ist im Alter eine sehr fragile Konstruktion geworden. Es scheint, als hänge ihre Selbstständigkeit an einem klapprigen Kühlschrank und einem praktisch schrottreifen Gasherd. „Neue Geräte könnte ich nie auf einen Schlag bezahlen – und auf Raten möchte ich mir nichts mehr anschaffen.“
Meist ist sie allein in ihrer Wohnung. Angehörige hat sie nicht, die letzte Freundin starb vor wenigen Wochen: „Ich habe niemanden mehr“, sagt sie ohne Selbstmitleid. Dann knotet sie umständlich den Kühlschrank auf, um sich ein Glas Milch einzuschenken. Zwei Wellensittiche fliegen durchs Wohnzimmer: „Sie sind meine Gesellschaft – ich bin froh, wenn sie zwitschern“, sagt sie. Dann knotet sie den Kühlschrank wieder zu. Fragt man sie, was sie braucht, überlegt sie erst. Dann ringt sie sich zu einer Antwort durch: „Neue Geräte für die Küche wären schon schön“, sagt sie dann bescheiden. „Und vielleicht eine warme Winterjacke.“