Nach der Pflege seiner demenzkranken Mutter brach der 38-Jährige zusammen. Er ist verschuldet und lebt ohne Strom.
Wenn sich Peter K. seine Lage vor Augen führt, dann hat er letztlich noch Glück im Unglück. Anfang September wurde ihm der Strom abgeklemmt, weil er erst mehrere Rechnungen und später noch eine Nachforderung aus dem vergangenen Jahr nicht mehr begleichen konnte. Glücklicherweise aber wird das Haus, im dem er lebt, zentral mit Gas beheizt. Deshalb sitzt der 38-Jährige abends jetzt zwar im Dunkeln, die Warmmiete, die er für seine kleine Wohnung zahlt, verhindert aber, dass er frieren muss. Denn Probleme hat er schon genug.
Peter K. ist gerade von einem zehnwöchigen Klinikaufenthalt nach Hause zurückgekehrt, wo er wegen schwerer Depressionen und Suizidgefahr behandelt wurde – sechs Wochen stationär und anschließend noch vier Wochen in einer Tagesklinik. „Das war eine wichtige Zeit in meinem Leben“, bilanziert der gelernte Betonfertigteilbauer. Sehr geholfen hätten ihm auch die Gespräche mit den Mitpatienten. Mit einigen von ihnen hält er weiterhin Kontakt. „Trotz völlig unterschiedlicher Lebensläufe hatten alle im Grunde die gleichen Probleme“, erzählt der gebürtige Schleswig-Holsteiner. „Ich habe jahrelang versucht, all meine Sorgen und Probleme zu verdrängen. Meinen Zusammenbruch sehe ich jetzt als Chance für einen Neubeginn.“
Wenn Peter K. erzählt, kommt das Gespräch immer wieder auf seinen ältesten Bruder, der 1985 im Alter von nur 24 Jahren bei einem Motorradunfall ums Leben kam. „Ich war damals zwar erst neun Jahre alt, aber verwunden habe ich seinen Tod nie“, erzählt der Jüngste von fünf Brüdern. „Ich denke, er war damals meine wichtigste Bezugsperson.“ Peter K. zog früh von zu Hause aus und arbeitete viele Jahre lang in einem Betrieb für Metallrecycling. Nach dem Tod seines Stiefvaters 2001 entschloss er sich, in der Nähe von Hamburg ein Haus für sich und seine Mutter zu kaufen. Dahinter stand die Überlegung, mit ihrer Rente und seinem Lohn statt der zweifachen Miete lieber die Hypothek für ein kleines Reihenhaus abzubezahlen. Das funktionierte bis 2008. Doch mit einer Augenoperation, der sich seine Mutter in jenem Jahr unterziehen musste, fingen die Probleme an.
Zuerst dachte Peter K. noch, ihre Aussetzer seien die Folge der Narkose. Seine Mutter wusste nicht mehr, wie viele Kinder sie hatte, später lief sie in die Küche oder ins Bad, wusste aber nicht mehr, warum. 2009 wurde bei ihr eine Demenzerkrankung diagnostiziert. Peter K., der seiner Mutter versprochen hatte, sie bis zu ihrem Tod zu Hause zu versorgen, pflegte sie drei Jahre lang beinahe rund um die Uhr – trotz Schichtdienst. „Zum Schluss stand sie an der Garderobe und schimpfte mit den Jacken, weil sie dachte, das seien die Nachbarskinder“, schildert der 38-Jährige ihre Symptome. Als sie sich schließlich immer häufiger weigerte, sich duschen oder anziehen zu lassen, entschloss er sich 2011 doch, seine Mutter in ein Pflegeheim zu geben. „Ich wollte nicht, dass sie verwahrlost“, erzählt er. Seine drei Brüder, die heute 53, 56 und 59 Jahre alt sind, ließen ihren jüngsten Bruder mit der Pflege allein.
Heute fragt sich Peter K., warum er das Haus damals nicht gleich verkauft hat. Denn die Rente seiner Mutter reichte gerade so eben, um das Pflegeheim zu bezahlen, er selbst bekam Schwierigkeiten, die monatlichen Raten für das Haus aufzubringen. „Schon zu dieser Zeit hatte ich das Gefühl, das alles nicht mehr zu schaffen“, erzählt er. Ein Arzt diagnostizierte schließlich eine Depression und verschrieb Medikamente, nach einer dreimonatigen Psychotherapie fühlte sich Peter K. wieder einigermaßen fit. Im November 2012 konnte er das Haus verkaufen, wenn auch mit einem kleinen Verlust. Weil er den alten Kredit aber nicht mehr hatte vollständig bedienen können, musste er umschulden und blieb letztlich auf 14?500 Euro sitzen.
Ende Dezember 2012 zog Peter K. von Norderstedt in die Region Hannover. „Das sollte eigentlich mein Neustart werden“, erzählt er. Sein bester Freund aus der Motorradclique hatte ihn dazu ermutigt. In Schleswig-Holstein hielt ihn ohnehin nichts mehr. Zu seinen Brüdern war der Kontakt nahezu abgebrochen, und aufgrund der Pflege seiner Mutter und der Schichtarbeit waren auch die Freunde weggeblieben.
Bei einem Verpackungsunternehmen fand er schnell einen neuen Job, der Stundenlohn war zwar gering, aber den besserte er durch Überstunden auf. Wenige Monate später, im April 2013, starb seine Mutter. Damit häuften sich seine Schulden weiter an. Das Pflegeheim verlangte nachträglich noch 2500 Euro, mit den Kosten für ihre Beerdigung ließen ihn seine Brüder wieder allein – knapp 3000 Euro. „Ich hatte den Eindruck, dass mir alles über den Kopf wuchs“, sagt der 2,03 Meter große Mann. Weil er mit seinem Verdienst nur gerade so über die Runden kam, konnte er die zusätzlichen Rechnungen nicht mehr bezahlen, auch nicht mehr die Nachforderung des Stromversorgers. „Da habe ich nur noch gehofft, dass mich der Blitz trifft.“ Er fing an, seinen Suizid zu planen. Vor einen Zug mochte er sich aber nicht werfen, „weil ich nicht wollte, dass ein Lokomotivführer meinetwegen ein Trauma erleidet“, sagt Peter K. Eine Hütte im Wald kam auch nicht infrage, weil „mich dort Kinder hätten finden können“.
Letztlich verhinderten starke Rückenschmerzen, dass er sein Vorhaben in die Tat umsetzte. Peter K. ging stattdessen zu seinem Hausarzt. Dort brach er zusammen. „Ich habe nur noch geweint und mir alles von der Seele geredet.“ Noch am selben Tag kam er in die Klinik. Inzwischen sieht Peter K. die Welt wieder mit anderen Augen. Er hat sich an eine Schuldnerberatung gewandt, die ihm zu einer Privatinsolvenz rät. „Dann wäre ich in sechs Jahren schuldenfrei.“ Außerdem möchte er möglichst schnell wieder arbeiten. Jetzt hofft er, dass das Jobcenter, wo er seit Oktober Arbeitslosengeld II bezieht, ihm ein Darlehen gewährt, um seine Stromschulden bezahlen zu können. Peter K. weiß auch schon, was er macht, wenn der Strom wieder angestellt wird: „Die Waschmaschine einschalten und ein Stück Fleisch in die Pfanne hauen.“
Von Veronika Thomas