Er war ein erfolgreicher DJ – dann verlor er Frau und Kind bei einem schrecklichen Unfall. Das warf Lars Lehmann aus der Bahn, lange war er obdachlos. Jetzt könnte er wieder Tritt fassen. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Von der Decke scheint fahles Neonlicht. Sein Raum ist nur wenige Quadratmeter groß. Sterile Kunststoffwände, ein einfaches Bettgestell, zwei schmale Blechspinde. Obwohl das Zimmer so klein ist, verlieren sich die wenigen Habseligkeiten, die er hat, im Raum.
Die kleine Containersiedlung dürfte vielen wie eine Endstation für gescheiterte Existenzen vorkommen. Für Lars Lehmann (Name geändert) hingegen könnte sie das Sprungbrett in ein neues Leben sein. „Ich bin so froh, dass ich jetzt hier bin“, sagt der 44-Jährige dankbar. „Endlich wieder ein Dach über dem Kopf!“
Der Mann mit dem Kapuzenpulli sitzt auf einem Plastikstuhl und dreht sich eine Zigarette. Er kennt noch immer viele Plätze in Hannover, an denen man draußen halbwegs gefahrlos übernachten kann. „Aber seit Februar bin ich jetzt hier“, sagt er. In der ersten Zeit sei es in dieser Obdachlosenunterkunft irgendwo in der Region Hannover gar nicht so leicht für ihn gewesen. Dann lief er schon mal mit dem Schlafsack raus und verbrachte die Nacht auf einer Wiese. „Drinnen habe ich einfach keinen Schlaf gefunden“, sagt er und zuckt mit den Achseln, als müsste er sich dafür entschuldigen.
Auch Eltern starben bei Unfall
Lehmann wuchs in einem Dorf in Mecklenburg auf. Gleich nach der Wende, er war neun Jahre alt, nahm seine Mutter ihre sechs Kinder und ging in den Westen. „Mein Vater war alkoholkrank“, sagt er. „Wenn er nüchtern war, habe ich ihn geliebt.“
Lehmann stockt immer wieder, wenn er von seiner Familie erzählt. Deren Geschichte mutet an wie eine einzige groteske Verkettung von Schicksalsschlägen. All seine Geschwister starben früh. Als er selbst 23 Jahre alt war, verlor er auch noch seine Eltern bei einem Verkehrsunfall. „Ich habe alles beerdigen müssen, was mir teuer war“, sagt er.
Nach dem Hauptschulabschluss in Nordrhein-Westfalen arbeitete er als Stahlbetonbauer, eine Ausbildung brach er ab. „Es gab Schwierigkeiten, ich habe viel gekifft“, sagt er. Danach jobbte er als Koch: „Da habe ich meine Leidenschaft zum Beruf machen können“, schwärmt Lehmann noch heute. Schließlich fand er zur Musik – und hatte Erfolg.
Er wurde DJ, kreierte Minimal-Techno-Sounds. Er zückt sein Handy, auf dem noch eine Playlist von damals ist. Stolz spielt er die elektronischen Klänge an, die er selbst erschaffen hat. „Ich habe auf einem Wagen bei der Berliner Loveparade aufgelegt“, sagt er. Auf Ibiza habe er in einer der größten Diskotheken der Welt Musik gemacht; teils habe er für jede angefangene Stunde 1000 Euro bekommen.
„Ich war auf der Sonnenseite“
Von dem Geld baute er mit seiner Partnerin ein Haus auf Rügen, 2004 wurde ihre Tochter geboren. „Ich war auf der Sonnenseite des Lebens“, sagt Lehmann, und für einen Moment scheint die Erinnerung ihn glücklich zu machen. „Ich habe die Renovierung eines Kindergartens unterstützt, auf dem Konto hatte ich einen sechsstelligen Betrag, und vor der Tür stand mein Traumauto.“
Dann kam im Jahr 2013 der Tag, der alles veränderte. Er muss tief durchatmen, wenn er davon erzählt. Er war wieder für ein Wochenende auf Ibiza, Musik machen, als der Anruf kam. „Meine Frau, meine Tochter – beide tot, auf einem Zebrastreifen überfahren.“ Er kämpft mit den Tränen: „Glaub mir, die Zeit heilt keine Wunden“, sagt er dann.
Lange habe er sich schwere Vorwürfe gemacht: „Wenn ich die beiden nach Ibiza mitgenommen hätte, würden sie noch leben“, sagt er. Der Unfall warf ihn aus der Bahn. „Ich bin durchgedreht, ich habe alles getan, um mich zu betäuben.“ Es dauerte nur gut zwei Jahre, bis Geld, Haus und Aufträge weg waren – und Lehmann auf der Straße lebte. „Ich fühlte mich nirgends mehr daheim“, sagt er.
Schafft der DJ den Neubeginn?
Wenn er spricht, versucht er, den Mund möglichst wenig zu öffnen. Auf der Straße hat er mehrere Zähne verloren. „Zwei habe ich mir selbst mit der Zange gezogen, betäubt mit Kokain und Schnaps.“ Er habe auch versucht, sich das Leben zu nehmen: „Ich bin nachts von einem Hochhaus gesprungen, aber in einem Stapel Styropordämmung gelandet.“ Rastlos reiste er durch Europa. In Städten, in denen er einst Musik gemacht hatte, schlief er auf der Straße. Und in Hannover blieb er hängen.
Der Sozialarbeiter, der ihn hier betreut, bestätigt, dass er von Bürgergeld lebt und sich kaum das Nötigste leisten kann. „Inzwischen versuche ich aber, wieder Fuß zu fassen“, sagt Lehmann vorsichtig optimistisch. In seiner Unterkunft sei er gut angekommen. „Vor allem fühle ich mich nicht mehr schuldig am Tod von Frau und Kind“, sagt er. Inzwischen nimmt er an einem Lehrgang für den Wiedereinstieg in den Beruf teil.
„Ich bin erst 44 Jahre alt – da ist das Leben noch nicht zu Ende“, sagt er. Vielleicht könne er ja bald wieder irgendwo kochen. „Aber am liebsten würde ich wieder mit Musik anfangen“, sagt Lehmann. Mit Unterstützung der HAZ-Weihnachtshilfe will er sich eine kleine Musikanlage kaufen. „Ich bin mir einfach zu schade, um mich jetzt schon aufzugeben.“