Früh verlor Gjina Engell ihren Mann durch Krebs, dann machte eine Hirnblutung die Altenpflegerin arbeitsunfähig. Zu allem Überfluss zerstörte jetzt auch noch ein verheerender Brand die Wohnung der bescheidenen Frau. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Erst vor Kurzem hatte sie ihre demente Mutter zu sich genommen. Sie wollte die alte Dame gerade ins Bett bringen, als plötzlich ein Nachbar Sturm klingelte. Beim Nebenhaus stand der Dachstuhl in hellen Flammen. Das Feuer sprang rasch auf ihr eigenes Haus über. „Wir mussten alle raus, die Feuerwehr kam, und meine Mutter verstand gar nicht, was los war“, erzählt Gjina Engell (Name geändert).
Die 56-Jährige zückt ihr Handy und zeigt Fotos von dem, was vor wenigen Monaten geschah: Flammen, die aus Fenstern schlagen. Verkohlte Balken, die wie Rippen aus den Trümmern eines Gebäudes ragen. „Von meinem Hausstand ist kaum etwas übrig geblieben“, sagt sie. „Möbel, Kleidung, Erinnerungsstücke – alles weg.“
Gjina Engell spricht erstaunlich gelassen über den Brand, der ihr fast ihre komplette Habe genommen hat. „Es ist doch gut, dass niemand zu Schaden gekommen ist“, sagt sie ruhig. Es sind die Worte einer Frau, die gelernt hat, mit Schicksalsschlägen umzugehen. „Seit meiner Krankheit weiß ich, dass wir am Ende unseres Lebens nichts mitnehmen können“, sagt sie.
Kindheit im Kosovo
Gjina Engell wuchs im Kosovo auf, ihr Vater hatte ein Elektrogeschäft. Sie selbst besuchte das Gymnasium und heiratete früh. Dann erschütterten Unruhen ihre Heimat. „Mein Mann war politisch engagiert, wir konnten nicht bleiben“, sagt sie. Das junge Paar floh zunächst nach Skandinavien, 1995 kam es nach Deutschland.
Hier lebten die beiden anfangs in einer Flüchtlingsunterkunft. Dann begannen sie, sich in einem Dorf bei Hannover eine Existenz aufzubauen. „Anfangs war es eine harte Zeit“, sagt sie. Über das Fernsehen lernte sie Deutsch. Dann fand die Frau, die eigentlich gern Architektur studiert hätte, einen Job als Reinigungskraft in einem Krankenhaus. Ihr Mann machte den Lkw-Führerschein und wurde Fahrer bei einer Gerüstbaufirma.
„Allmählich haben wir Fuß gefasst“, sagt Gjina Engell. Im Krankenhaus freundete sie sich mit einer Ärztin an. Diese riet ihr, unbedingt eine Ausbildung zu machen – und so wurde sie Altenpflegerin. „Ich habe meine Arbeit immer gemocht“, sagt sie. Neben dem Job zog sie ihre Tochter und den Sohn groß. Heute studieren beide. „Ich bin froh, dass ich meine Kinder habe.“
Ihr Mann starb an Krebs
Wenn sie von ihrem Werdegang erzählt, drückt sie sich gewählt in der einst fremden Sprache aus. Eine kultivierte Frau, die voller Dankbarkeit auf die guten Tage ihres Lebens zurückblickt. Auf ihre Arbeit im Seniorenheim. Auf ihren liebevollen Mann. „Wir waren sehr glücklich“, sagt sie.
Eines Tages aber wirkte ihr Mann, der nie krank gewesen war, irgendwie müde. Erst fand der Arzt nichts. Als dann die Diagnose kam, hatte er nur noch wenige Monate zu leben. Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Der kräftige Mann wurde immer dünner“, sagt sie.
Vor acht Jahren starb er. Zu Hause, wie es sein Wunsch gewesen war. „Ich habe viel geweint“, sagt Gjina Engell. Der Verlust warf sie aus der Bahn. Die Kinder, die damals noch Teenager waren, hätten sich wie Eltern um sie kümmern müssen: „Wir haben die Rollen getauscht.“
Bald darauf bekam sie selbst Kopfschmerzen. „Es fühlte sich an wie Messerstiche.“ Sie hatte schon einen Untersuchungstermin, als sie auf dem Heimweg von der Arbeit in der Stadt mit einer Hirnblutung zusammenbrach.
„Ich kann mich an nichts erinnern“, sagt sie. Drei Monate lang lag sie im künstlichen Koma, wurde operiert, es gab Komplikationen. „Die Ärzte rechneten damit, dass sie stirbt“, sagt ihr Sohn. Doch mit Therapien und Übungen kämpfte sich seine Mutter ins Leben zurück. In ein Leben allerdings, das nicht mehr das alte war.
Hirnblutung mit Folgen
Bis heute leidet sie unter Gleichgewichts- und Orientierungsproblemen. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt, sie hat Pflegegrad 3. Im Alltag helfen ihr die Kinder. „Ich bin dankbar, dass ich überlebt habe und vieles noch hinbekomme“, sagt sie, „aber ich darf leider nicht mehr arbeiten.“ Seit Jahren ist sie Frührentnerin, sie lebt von einer kleinen Rente und Sozialleistungen. Auch damit hat sie sich arrangiert: „Ich habe gelernt, mit wenig Geld auszukommen.“
„Sie hat viele Schicksalsschläge verkraften müssen“, sagt die Sozialarbeiterin, die sie begleitet. Der verheerende Brand vernichtete dann auch noch den Besitz der fast mittellosen Frau. Nach dem Feuer kam sie mit ihrer Mutter zunächst bei verschiedenen Verwandten unter, derzeit leben sie in der Wohnung ihrer Schwester.
Mit wenig Geld muss Gjina Engell sich nun einen neuen Hausstand anschaffen – bis hin zur Kleidung, die durch den Rauch unbrauchbar geworden ist. Ihre Kinder renovieren inzwischen die frühere Wohnung ihrer alten Mutter, bald wollen die Frauen dort gemeinsam einziehen.
Fragt man sie nach ihren Wünschen, muss Gjina Engell erst einmal überlegen. „Ich würde so gern wieder arbeiten“, sagt sie, wohl wissend, dass darauf wenig Hoffnung besteht. „Und ich möchte wieder in einer eigenen Wohnung leben.“ Es sind die bescheidenen Wünsche einer bescheidenen Frau.