Es ist nicht leicht, seine Bleibe zu finden. Auf einer Gewerbefläche irgendwo in der Region Hannover hat er seinen Container abgestellt. Ganz legal, aber versteckt zwischen maroden Schuppen, zwischen Möbeln, die im Regen stehen, und Einkaufswagen voller Flaschen. Mit Brettern und Plastikplatten hat er sein Domizil, das an eine Höhle erinnert, einigermaßen abgedichtet. Innen hat er eine Pritsche als Bett aufgebaut. In grob zusammengezimmerten Regalen türmen sich Taschen, Töpfe und Werkzeuge.
„Im Moment ist hier alles noch Baustelle“, sagt Linus Torwald (Name geändert), „aber wenn es fertig ist, soll dort mal die Küche hin.“ Der 25-Jährige hat sich die Baseballkappe, die er noch unter seiner Kapuze trägt, tief ins Gesicht gezogen. In den weiten Beintaschen seiner Hose hat er seinen Kaffeebecher verstaut.
Den alten Überseecontainer hat er bei Ebay erstanden. Eine Heimstatt für 800 Euro, inklusive Transport. „Der war so zerflext, dass keiner mehr was damit anfangen konnte“, sagt er. Linus Torwald bastelte eine Art Holzrahmen in das Stahlgerippe, isolierte den Kasten mit Steinwolle. Am Ende hatte er dann so etwas wie seine eigenen vier Wände; eine Stahlbox, rund fünf Meter lang und 2,40 Meter breit. „Für mich ist das die beste Lösung“, sagt er, „der Container ist mein Safe Space.“ Ein Raum also, der ihm Sicherheit bietet, wohl in vielfacher Hinsicht.
Eine Wohnung will er nicht
Linus Torwald wuchs in Süddeutschland auf. „Den Realschulabschluss habe ich mit Ach und Krach geschafft“, erzählt er. Als er 18 Jahre alt war, sei er dann aus seinem Dorf in die nächstgrößere Stadt „geflüchtet“, wie er sagt. Ob er Kontakt zu seinen Eltern habe? Er überlegt kurz. „Mit meiner Familie verstehe ich mich ganz gut, wenn wir etwas Abstand haben“, sagt er dann.
In der Stadt wollte er Kunst studieren. „Eine Zeit lang habe ich in einem Atelier gelebt, bis sie mich da rausgeschmissen haben“, sagt er. Er landete auf der Straße. Mal schlief er im Freien, mal bei Freunden. „Couch-Surfing“ nennt er das. Über das Amt bekam er einmal eine feste Bleibe. „In der WG habe ich mich aber verzofft, das ist voll eskaliert“, sagt er. „Persönliche Differenzen, komplexes Thema.“ Wenn er angespannt ist, zuckt sein Hals etwas, und er fährt sich mit den Händen hektisch durchs Gesicht. Man ahnt, dass dieser junge Mann ein Bündel von Problemen mit sich herumträgt, die ihm das Leben schwer machen.
Eine Wohnung, sagt er, sei nichts für ihn. „Da kannste mich genauso gut begraben, da werde ich depressiv. Bevor ich in eine Wohnung gehe, ziehe ich lieber auf die Straße.“ Irgendwann bastelte er sich einen Aufbau für seinen kleinen Autoanhänger. „In diese Pennzelle habe ich alle meine Klamotten reinpacken können“, sagt er. Von einem Bekannten ließ er den Hänger vor anderthalb Jahren dann nach Hannover ziehen. „Ich hatte gehört, dass es hier nicht so viele Faschos gibt“, sagt er, „und von hier aus kann ich auch überall hin weiter.“
Ein unstetes Leben
Linus Torwald ist jemand, der solche Freiheiten braucht. Der mit Zwängen oder Druck nicht gut umgehen kann. Ein sprunghafter Typ, der für ein stetiges Leben in bürgerlichen Bahnen nicht geschaffen ist. Dafür lebt er in Verhältnissen, die manch andere nur schwer ertragen könnten. Ab und zu hat er schlecht bezahlte Jobs auf Märkten. „Manchmal gehe ich in den Dispo, ansonsten bekomme ich Bürgergeld“, sagt er.
„Housing first“ nennt man in der Sozialarbeit ein Konzept, bei dem Obdachlose zunächst eine feste Bleibe bekommen, um dann ihre sonstigen Probleme angehen zu können. Sein Container könnte für Linus Torwald ein wichtiger Schritt dabei sein. „Wenn das Teil fertig ist, kann ich mir vorstellen, eine Ausbildung zu machen, am liebsten im Bereich Informatik“, sagt er.
Früher habe er schon mal ein eigenes Gewerbe gehabt und für andere Firmen Computer betreut. „Die Spießer waren komplett entsetzt, wenn ich mit meiner wilden Frisur ins Büro gekommen bin“, erzählt er grinsend, „aber am Ende liefen ihre Rechner wieder, und sie schickten Dankmails.“
Heizen mit Solaranlage
Der Mann mit den rustikalen Klamotten und den feinen Gesichtszügen ist nicht einfach nur eine verkrachte Existenz; jemand, der seine Dinge nicht auf die Reihe bekommt. In Linus Torwald steckt auch ein Lebenskünstler, der aus jeder Lage das Beste zu machen versucht. Ein unkonventioneller und kreativer Kopf, der in einem Stapel alter Bretter auch eine mögliche Abdichtung für seinen Container erkennt und der sich mit handwerklichem Geschick daran macht, sein Domizil halbwegs wohnlich zu bekommen.
„Der letzte Winter war aber eine Katastrophe, so ohne Heizung“, sagt er. „Manchmal habe ich mit einem Föhn meinen Schlafsack angewärmt.“ Mit Unterstützung der HAZ-Weihnachtshilfe hat er jetzt – in Absprache mit dem Sozialarbeiter, der ihn betreut – eine Mini-Solaranlage anschaffen können, inklusive Heizelementen. „Wenn die erst läuft, kann es draußen ruhig kalt werden“, sagt er. Sein Container wird dann eine autarke Heizung haben. Eine unkonventionelle Lösung für einen Mann mit einem ungewöhnlichen Lebensweg.
Vielleicht werde er dann Bewerbungen rausschicken, sagt Linus Torwald. „Aber erst brauche ich eine funktionierende Küche, und mein Rechner muss laufen.“
Von Simon Benne