Ein blitzsauberes Heim. An der Wand hängt Selbstgebasteltes aus dem Kindergarten, auf dem Regal stehen Familienfotos. Im Zimmer ihrer kleinen Tochter hat sie mit rosa Tapeten und weiten Vorhängen liebevoll ein klassisches Klein-Mädchen-Idyll kreiert. Über der Garderobe prangt ein Schriftzug, der wie eine Überschrift zu dieser Wohnung passen könnte: „Sweet Home“.
Seit vier Monaten lebt Lisa Tischmann (Name geändert) hier, und sie hat alles daran gesetzt, sich in ihrem kleinen Domizil irgendwo in der Region Hannover ein schützendes Nest für den Neustart zu schaffen. „Ich habe begonnen, mir etwas Neues aufzubauen“, sagt die 35-Jährige, und für einen Moment wirkt sie sehr zuversichtlich. Das ist nicht selbstverständlich angesichts der Krankheit und der familiären Probleme, mit denen sie in den vergangenen Jahren zu kämpfen hatte.
Lisa Tischmann machte nach der zehnten Klasse den Hauptschulabschluss, danach jobbte sie in verschiedenen Branchen – mal im Baumarkt, mal im Einzelhandel. Schließlich begann sie eine Ausbildung als Zahnarzthelferin. „Die Arbeit hat mir Spaß gemacht“, sagt sie.
Sie war schon im dritten Lehrjahr, als plötzlich jene Krankheit in ihr Leben trat, die seither alles überschattet. „Ich weiß noch, wie ich bei der Arbeit in ein Behandlungszimmer ging. Später bin ich dann in der MHH wieder aufgewacht“, sagt sie. Lisa Tischmann hatte ihren ersten epileptischen Anfall erlitten. „Dass ich Epileptikerin bin, hatte ich vorher nicht gewusst.“
Sie musste medikamentös eingestellt werden. „Es ist schwierig, die richtige Dosierung zu finden“, sagt sie. „Ich habe oft gefehlt, weil ich viel im Krankenhaus war.“ Die Abschlussprüfung bestand sie dann nicht. Trotz ihrer Krankheit arbeitete sie bald wieder, als ungelernte Kraft in verschiedenen Arztpraxen. „Ich kann nicht gut zu Hause sitzen“, sagt die quirlige Frau mit verlegenem Lächeln, „da fällt mir die Decke auf den Kopf.“
Auch heute noch hat sie alle paar Wochen epileptische Anfälle. „Es gibt verschiedene Auslöser – wenn ich Stress habe oder wenig Schlaf bekomme zum Beispiel“, sagt sie. Bei kleinen Anfällen spüre sie vorher ein Schwindelgefühl. „Andere berichten mir, dass ich dann apathisch in eine Richtung starre und vor mich hin schmatze“, sagt sie. Große Anfälle hingegen kommen ganz plötzlich: „Dann falle ich einfach um.“ In Krämpfen windet sie sich dann auf der Erde. „Meine Mutter ist immer noch jedes Mal schockiert, obwohl sie das inzwischen kennt.“
Kampf mit den Schulden
Eines Tages lernte sie einen Mann kennen. Als vor drei Jahren dann ihre Tochter geboren wurde, zogen sie in eine gemeinsame Wohnung. Er machte eine Ausbildung und war finanziell nicht auf Rosen gebettet. Also kaufte sie die Möbel für das gemeinsame Domizil – und machte dabei für ihre Verhältnisse hohe Schulden, mit denen sie bis heute kämpft.
Die Beziehung ging in die Brüche. Lisa Tischmann spricht vom Alkohol und davon, wie ihr Partner, der außerhalb arbeitete und nur am Wochenende kam, sich immer mehr von seiner kleinen Familie zurückzog. „Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr“, sagt sie. Die junge Mutter zog aus und wagte einen Neuanfang, alleine mit ihrer Tochter. Einen Neuanfang in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Die so liebevoll dekorierte Wohnung ist teils nur behelfsmäßig eingerichtet. Lisa Tischmann schläft auf dem Fußboden auf einer alten Matratze, die sie von ihrer Mutter bekommen hat. Ein richtiges Bett hat sie nicht. Seit April arbeitet sie in einem sozialen Kaufhaus, 15 Stunden die Woche. Neben dem Bürgergeld, vormals Hartz IV, bekommt sie pro Stunde 1,60 Euro ausbezahlt. Immerhin besucht ihr früherer Partner sie regelmäßig und kümmert sich um die Kleine: „Wir sind im Guten auseinandergegangen“, sagt sie heute.
Gern würde Lisa Tischmann beruflich wieder stärker einsteigen. „Irgendwann will ich wieder im medizinischen Bereich arbeiten“, sagt sie. Doch momentan ist das noch nicht möglich: Ihre Tochter ist oft krank, dann muss die alleinerziehende Mutter zu Hause bleiben, um sich um sie zu kümmern.
Auch darum fehlt Geld an allen Ecken und Enden. „Wenn ich einkaufe, denke ich vor allem an meine Tochter – sonst beschränke ich mich auf das Nötigste“, sagt sie. Ein Kinobesuch oder ein Urlaub sind nicht drin. „Wenn ich mal was Frisches kochen will, muss ich anderswo Abstriche machen.“ Auch Weihnachtsgeschenke für ihr Kind kann sie sich kaum leisten.
„Trotz ihrer schweren chronischen Erkrankung und der Schwierigkeit, ein Kind alleine zu erziehen, ist sie immer motiviert“, sagt die Sozialarbeiterin, die Lisa Tischmann betreut. „Sie bemüht sich, einen sicheren Stand im Leben zu finden.“
Die junge Mutter hofft darauf, ihre Schulden irgendwann los zu sein. Doch momentan ist sie noch auf Hilfe angewiesen. Fragt man sie nach ihren Wünschen, kommt eine bescheidene Antwort: „Ich würde gern einmal in den Supermarkt gehen, ohne auf den Cent achten zu müssen.“