Er kam 1969 als Gastarbeiter aus dem Kosovo. Jahrzehnte lang leistete er Knochenarbeit im Kanalbau. Jetzt ist er 83 Jahre alt – und die Rente reicht nicht. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe. Von Simon Benne.
Man versteht nicht gleich, was er meint. „Metall macht die Haut kaputt“, sagt der alte Mann in gebrochenem Deutsch und deutet auf kleine Verletzungen an seinen Unterarmen. Dann zeigt er auf die spitzen Sprungfedern, die aus dem Sofa schauen. Der 83-Jährige schläft auf dieser Couch, ein Bett hat er nicht. „Sofa ist Schrott“, sagt er. Und resigniert fügt er hinzu: „Ich habe nicht gedacht, dass Leben im Alter so schwer ist.“
Dabei hat Idric Cerricu (Name geändert) ein Jahrzehnte lang hart gearbeitet. Er stammt aus einem Dorf im Kosovo. Ein bäuerliches Leben, die Versorgungslage war schlecht. Im Jahr 1969, sein verstorbener Vater hatte ihm nur Schulden hinterlassen, trat er dann vor eine jener Kommissionen aus der reichen Bundesrepublik, um sein Glück in der Fremde zu suchen.
Ärzte schauten seine Zähne an und untersuchten, ob er stark genug für Deutschland war. Andere drückten Stempel auf Papiere. Dann durfte er Gastarbeiter werden. Erst arbeitete er in einer Metallfabrik in Duisburg, dann kam er in die Region Hannover.
Er kam 1969 nach Deutschland
„Ich wollte Geld verdienen und dann die Familie holen“, sagt er. Doch so viel Geld sollte er lange nicht verdienen. Seine Frau und die vier Kinder kamen erst in den Neunzigern nach, als Jugoslawien in blutigen Kriegen zerfiel.
„Ich war lange allein“, sagt Idric Cerricu. Er erzählt davon, wie er mit anderen in einer Holzbarracke hauste, ohne Heizung und mit einer einzigen Dusche für die ganze Truppe. Wie er Zwölf-Stunden-Schichten durchknüppelte, für einen Hungerlohn. Wie er sieben Tage nach seiner Hochzeit wieder nach Deutschland fuhr, um dann zwei Jahre lang von seiner Frau getrennt zu sein. Die Sargija, die er damals mitbrachte, eine Art Balkangitarre, hat er noch. Bis heute spielt er darauf manchmal melancholische Melodien.
Wenn der 83-jährige von seinem Leben spricht, ist er oft schwer zu verstehen. Sein Deutsch ist immer noch schlecht. Integriert wurde er in all den Jahren nur als Arbeitskraft – und das vor allem zum Nutzen anderer. Mehr als 30 Jahre lang schuftete er im Straßen- und Kanalbau. An den Wänden, neben knallbunten Motivteppichen und alten Familienfotos in schwarzweiß, hat er Bilder aus seinem Berufsleben hängen: Er steht tief in einer Baugrube, neben gewaltigen Betonrohren.
„Ich ging auch krank zur Arbeit“
„Ich bin auch dann zur Arbeit gegangen, wenn ich krank war“, sagt er. In all den Jahren hätte er beim Schachten nie ein Stromkabel kaputt gemacht, „nur einmal Gas“, sagt er. Stolz erzählt er davon, dass er weiß, wie man die Erde lesen muss. Dass er in seinem Wohnort fast jede Straße irgendwann mal mit aufgerissen hat. Und dass es ohne ihn hier eigentlich gar keine Abwasserentsorgung gäbe. Neben der Tür hängt eine Urkunde für 25-jährige Betriebszugehörigkeit.
Auch sein Chef fand offenbar, dass er zum Wühlen in der Erde talentiert war: „Er hat gesagt, ich bin ein Maulwurf“, sagt der 83-Jährige. Noch immer freut er sich über diese Bemerkung, die sicher als Kompliment gemeint war. Und irgendwann sagte der Chef dann: „Cerricu morgen lange schlafen.“ Am Tag danach war er Rentner. Das war 2004. Und danach wurde es schwierig.
Viel verdient hatte er bei der Arbeit nie. „Aber solange ich gearbeitet habe, mussten wir nicht zum Sozialamt gehen“, betont er. Das ist ihm wichtig. Jetzt bekommt er 849 Euro Rente, mehr als die Hälfte davon gehen für Miete und Strom drauf. Seine Frau erhält rund 400 Euro an sogenannten Transferleistungen. „Das Geld reicht kaum für das Essen“, sagt er.
Fliesen sind mit Klebeband befestigt
Ihre kleine Wohnung ist karg eingerichtet. Die Möbel sind zusammengewürfelt, an den Schubladen fehlen teils Griffe. Nicht überall ist Teppich auf dem Betonfußboden verlegt. Einige Fliesen an der Badewanne sind mit Klebeband befestigt, und der Kühlschrank steht im Wohnzimmer, weil die Küche zu klein ist. Einen Fernseher haben sie nicht. „Ist zu teuer“, sagt er.
Er stöhnt, wenn er ein paar Schritte in der Wohnung umher gegangen ist. Die Jahre und die Arbeit haben aus ihm einen schmächtigen, gebeugten Mann gemacht. „Die Knochen sind kaputt, guck mal, wie es knackt“, sagt er und macht ein paar Bewegungen. Der Nacken, die Bandscheibe, das Asthma – Idris Cerricu ist ein kranker Mensch, und auch seine Frau ist gesundheitlich angeschlagen.
Keine Geld für eine Fahrt in die Heimat
Eine Sozialarbeiterin, die sie seit Langem begleitet, beschreibt die beiden als nettes, zurückhaltendes Ehepaar, das äußerst bescheiden ist. Nur manchmal bricht die Verbitterung aus dem alten Mann heraus. „Manche Leute, die nie gearbeitet haben, bekommen mehr als ich“, sagt er dann. Wie wenig er hat, ist ihm schmerzlich bewusst. „Meine Heimat habe ich seit 22 Jahren nicht gesehen – das Geld reicht nicht für eine Fahrt“, sagt er. Und verzweifelt fügt er einen beklemmenden Satz hinzu: „Es gibt Tiere, die besser leben als wir.“
Bei Bekannten hatte er sich Geld geliehen, 2000 Euro, die er lange nicht zurückzahlen konnte. Mit einem Konzept der Schuldnerberatung konnte er den Betrag inzwischen abstottern, gleichzeitig bekam er Lebensmittelspenden der Diakonie. Die nächste größere Anschaffung soll eine Brille sein, weil die Augen schlechter werden. Und eine neue Couch braucht er. Eine, die die Arme nicht zersticht.
Und noch ein Wunsch kam ihm in den Sinn, als er mit seiner Sozialarbeiterin über die HAZ-Weihnachtshilfe sprach: „Ich möchte ein schönes Weihnachtsessen mit meiner Frau haben.“