Als Studentin kam sie mit großen Hoffnungen aus Honduras nach Hannover – dann warf eine Krebserkrankung die junge Frau aus der Bahn. Sozialleistungen bekommt sie nicht. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Ihre Mutter sollte sofort erfahren, dass die Ärzte etwas Schlimmes entdeckt hatten. Doch die junge Frau musste noch acht Stunden warten, bis sie bei ihr anrufen konnte. Bis in Honduras, auf der anderen Seite der Erde, die Nacht vorbei war. Acht Stunden können sehr lang sein, wenn man alleine mit einer schrecklichen Gewissheit in einer fremden Stadt sitzt. „Als ich dann endlich mit meiner Mutter sprach, konnte ich zum ersten Mal weinen“, sagt Perizat Zapata (Name geändert). Sie atmet tief durch. „Eine Krebsdiagnose ist wie ein Schlag ins Gesicht, das verändert alles“, sagt sie dann.
Die 27-Jährige sitzt in ihrem kleinen WG-Zimmer irgendwo in Hannover. Eine sehr schlanke, unendlich zerbrechlich wirkende Frau. Hose und Pullover sind ihr viel zu weit. Neue Kleidung hat sie sich zuletzt vor der Diagnose leisten können. „In wenigen Monaten habe ich 25 Kilogramm abgenommen“, sagt Perizat Zapata. Inzwischen bringt sie nur noch 50 Kilogramm auf die Waage. Ein Drittel ihres Körpers hat der Krebs gefressen.
Auf dem Handy zeigt sie Fotos, die keine zwei Jahre alt sind. Man erkennt sie darauf nicht wieder. Die Aufnahmen zeigen eine fröhliche, vitale und kräftige Frau, die herzlich lacht.
Ihr Traum: Ein Biologiestudium
Perizat Zapata kommt aus Honduras. Sie wuchs dort in einer größeren Stadt auf, lebte gemeinsam mit Mutter, Oma und Tante unter einem Dach. Ihren Vater lernte sie nie kennen. Die Frauen lebten von der Vermietung einer Wohnung und eines Parkplatzes. Sie selbst machte das Abitur, ging zur Uni – und vor gut zwei Jahren kam sie nach Deutschland. Eine Studentin mit vielen Hoffnungen, die ein neues Land entdecken, neue Leute kennenlernen und sich etwas aufbauen wollte.
„Es war mein Traum, hier Biologie zu studieren“, sagt sie. Wenn sie von ihrer Liebe zur Natur und zur Wissenschaft spricht, blitzt für einen Moment die alte Begeisterung wieder auf, die Vitalität, von der die Krankheit sonst so wenig übrig gelassen hat.
Nach ihrem Deutschkurs wollte sie gerade an der Leibniz-Uni durchstarten, als sie starke Bauchschmerzen bekam. Die Ärzte vermuteten erst Gallensteine, doch nach einer Operation stand fest, dass es Krebs war.
Nach der Chemo zwei weitere Tumore
Es folgten eine weitere Operation und eine Chemotherapie. Ihre Mutter reiste aus Honduras an, um ihr in der harten Zeit beizustehen. Im Sommer schien es aufwärts zu gehen. Die Chemo war abgeschlossen, ihre Mutter wollte schon wieder heim fliegen, als Perizat Zapata wieder starke Schmerzen bekam. Nach aufwendigen Untersuchungen wurden zwei weitere Tumore entdeckt, diesmal an Leber und Darm. „Ich war völlig überrascht“, sagt sie. Dann kann sie nicht weitersprechen, weil ihr die Tränen kommen.
Die Tumore konnten inzwischen operativ entfernt werden. Jetzt wartet die 27-Jährige auf ihre zweite Chemotherapie. „Diese soll noch stärker sein als die erste“, sagt sie. Ihre Mutter sitzt still dabei, wenn sie von ihrem Martyrium erzählt. Sie wechseln ein paar Worte auf Spanisch. Dann sagt die Mutter, dass ihre Tochter noch Glück gehabt habe, weil sie erst nach ihrer Ankunft in Deutschland krank geworden sei, in einem Land mit guten medizinischen Möglichkeiten: „In unserer Heimat wäre sie schon nicht mehr am Leben.“
Der Krebs hat die Studentin auch finanziell in eine tiefe Krise gestürzt. Vor der Krankheit hatte sie Studentenjobs und verdiente sich etwas Geld. Jetzt lebt sie allein von der Unterstützung einer Cousine, die schon länger in Deutschland ist. Diese zahlt für sie Miete, Krankenversicherung und Lebensmittel. „Wenn es sie nicht gäbe, wüsste ich nicht, wovon ich leben soll“, sagt Perizat Zapata.
Sozialleistungen bekommt sie nicht
„Als ausländische Studentin bekommt die junge Frau keinerlei Sozialleistungen“, sagt eine Sozialarbeiterin, die Mutter und Tochter betreut – und die derzeit mit Behörden darüber verhandelt, wie man den beiden zu einem kleinen Einkommen verhelfen kann. „Ich würde jede Art von Arbeit annehmen“, sagt die 62-jährige Mutter, „ich könnte putzen oder in der Küche arbeiten.“
Das kleine WG-Zimmer, in dem sie derzeit leben, ist karg eingerichtet. Die Regale sind leer; das Leben in der Fremde hat die Bretter noch nicht mit Besitztümern gefüllt. Mutter und Tochter wohnen hier auch nur zur Zwischenmiete. Im Februar müssen sie raus, die Möbel gehören der Vermieterin. „Wir besitzen nur unsere Matratzen“, sagt die Tochter. Wenn ihre Mutter zum spanischsprachigen Gottesdienst möchte, ist schon der Kauf einer Fahrkarte ein Problem. „Wir kaufen uns eigentlich nur Lebensmittel – für mehr reicht das Geld nicht“, sagt Perizat Zapata.
Sie selbst hockt seit der Krankheit fast immer im Zimmer. Manchmal geht sie im Park spazieren, führt Hunde aus für Nachbarn. Soziale Kontakte konnte sie in Hannover bisher kaum knüpfen. Die Pandemie war keine gute Zeit, um irgendwo neue Wurzeln zu schlagen – insbesondere für kranke Menschen, die Deutsch erst noch lernen müssen.
Die Ärzte sagen, sie habe gute Chancen, den Krebs zu besiegen. „Ich habe aber große Angst, dass sie sich irren“, sagt Perizat Zapata. Ein gutes halbes Jahr soll die Chemo diesmal dauern. Mit vielen Hoffnungen kam sie nach Deutschland. Jetzt, sagt sie leise, habe sie nur noch eine einzige. Eine, an der alles hängt: „Ich möchte so gerne wieder gesund werden.“
Von Simon Benne