Nach einer finanziell schwierigen Phase war die Mutter von zwei Töchtern endlich wieder auf einem guten Weg – dann machte ein Wohnungsbrand viele Hoffnungen zunichte.
Ein Dutzend Mal schon hat sie im Wohnzimmer sauber gemacht. Vergebens. „Die Tücher sind immer wieder pechschwarz“, sagt Soraya Linde (Name geändert), „Ruß kann man nicht feucht abwischen.“ Es ist, als würden sich die feinen, schwarzen Partikel immer wieder neu über die Einrichtung legen. Wie ein Schmutzfilm bedecken sie die Spielsachen und die Kuscheltiere im Kinderzimmer, die Familienfotos an den Wänden und die Bücher auf dem Sims.
Man sieht der Wohnung noch an, dass sie eigentlich sauber und gepflegt ist. Umso verstörender wirken die Spuren der Zerstörung, die der Brand vor wenigen Wochen hinterlassen hat. „Die Matratzen und Decken kann ich nur noch wegwerfen“, sagt Soraya Linde. Feiner Ruß hat sich auch auf Möbeln, Kleidungsstücken und Gläsern abgesetzt.
Der Brand brach in der Küche aus
„Auf das Sofa haben wir lange gespart“, sagt sie. Jetzt muss man eine Plastiktüte unterlegen, wenn man sich setzen will. „Wir haben unseren halben Hausstand verloren“, sagt die 43-Jährige und bricht in Tränen aus. Ihr Schluchten geht in ein Husten über – eine Folge der Rauchvergiftung, die sie erlitten hat.
Immer wieder muss die Mutter von zwei Töchtern, die irgendwo in der Region Hannover wohnt, schluchzen und husten, wenn sie erzählt, was passiert ist. Sie waren einkaufen gewesen, und als sie heimkam und die Wohnungstür aufschloss, kamen ihr schon dichte Rauchschwaden entgegen.
„Lauf raus, ruf die Feuerwehr!“, rief sie ihrer elfjährigen Tochter noch zu. Danach stürzte sie selbst in die Wohnung, um die Katzen zu retten. In der Küche sah sie einen hellen Feuerschein und versuchte, den Brand mit Wasser zu löschen. Doch dann wurde ihr schwindelig, und eine Nachbarin holte sie aus der völlig verqualmten Wohnung. Vermutlich hatte es einen Kurzschluss gegeben. Wahrscheinlich haben zwei Pizzakartons nahe der Steckdose des Wasserkochers als erstes Feuer gefangen.
Nach der Scheidung blieben die Schulden
In der Küche hängt noch immer ein beißender Rauchgestank, die Wand über dem Herd ist verkohlt. Kochen kann hier niemand mehr, die Elektrogeräte sind unbrauchbar. „In vier Monaten wäre die Küche abbezahlt gewesen“, sagt Soraya Linde, und wieder kommen ihr die Tränen. Nein, eine Versicherung hätten sie sich nicht leisten können, sagt sie mit erstickter Stimme.
Dabei kommt sie aus einer wohlhabenden Akademikerfamilie. Soraya Linde wurde im Iran geboren, ihr Vater war ein angesehener Architekt. Nachdem die Mullahs an die Macht gekommen waren, musste ihre Familie 1979 auf dramatische Weise fliehen. Auch in Deutschland bekamen sie lange Polizeischutz; die Familie lebte in Angst vor dem langen Arm des Regimes. „Für meinen Vater war es nicht einfach – in seiner Heimat war er ein großer Mann gewesen, jetzt lebte er in einer kleinen Wohnung und musste wieder neu anfangen“, sagt sie im Rückblick.
Sie selbst machte das Abitur, studierte Sozialpädagogik, spezialisierte sich auf traumatisierte Kinder: „Vielleicht, weil ich selbst als Kind viel erlebt habe“, sagt sie leise. Später heiratete sie, lebte mit ihrem Mann und den zwei Kindern in einem schmucken Haus.
Dann aber ging die Ehe in die Brüche – und sie stand nach der Scheidung mit einem Berg Schulden da. Das Verhältnis zu ihrem Ex-Mann sei heute gut, betont sie – doch finanziell begann nach der Ehe für sie eine lange Durststrecke. „Immer wieder habe ich versucht, Fuß zu fassen“, sagt sie. Doch immer, wenn sie Geld verdiente, standen Gläubiger auf der Matte. Vom Erarbeiteten blieb nicht viel.
„Wir wollen nicht zur Last fallen“
Seit einiger Zeit lebt sie von Leistungen vom Jobcenter. Nach Abzug der Miete seien ihrer kleinen Familie nur wenige Hundert Euro im Monat zum Leben geblieben. „Ich komme aus einem guten Elternhaus, es ist mir unangenehm, Almosen annehmen zu müssen“, sagt sie, „aber manchmal hat man keine andere Wahl.“
Mit Hilfe einer Schuldnerberaterin leitete Soraya Linde vor einigen Monaten eine Privatinsolvenz ein. Sie möchte wieder von ihrer eigenen Arbeit leben können, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. „Ich möchte mir ein Leben aufbauen, in dem ich beruflich auf eigenen Füßen stehe und anderen Menschen helfen kann“, sagt sie mit fester Stimme, „ich will wieder ich sein – und ich möchte meinen Kindern eine Perspektive bieten können.“
„Die Familie war auf einem guten Weg, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen“, sagt die Sozialarbeiterin, die Soraya Linde seit Langem begleitet. Das Feuer hat jetzt viele Hoffnungen zunichte gemacht. Derzeit schlafen Soraya Linde und ihre beiden Töchter im Zimmer der ältesten, weil dort noch am wenigsten Rauch hineingezogen war. Wie es weitergehen soll, weiß sie nicht. „Ich bin an meine Grenzen gekommen“, sagt sie – und wieder versagt ihre Stimme.
In der Not ist die Familie nicht alleine geblieben. „Es ist unglaublich, wie viele Menschen für uns da sind“, sagt die Mutter. Eine Tierärztin habe ihre Katzen umsonst untersucht, die gottlob unverletzt blieben. Bekannte halfen ihnen, und auch ihr Ex-Mann bot an, dass sie bei ihm übernachten konnten. „Wir wollen aber niemandem zu Last fallen“, sagt die bescheidene Frau. „Ich möchte möglichst von niemandem abhängig sein.“
Dies ist das Ziel, auf das Soraya Linde lange hingearbeitet hat. Durch den Brand ist es in weite Ferne gerückt. Das ist vielleicht der schlimmste Schaden, den das Feuer angerichtet hat.
Von Simon Benne