Er hat immer gern gearbeitet – und doch kann der 80-jährige Heinz W. (Name geändert) sich heute kaum etwas leisten. Seit dem Tod seiner Frau ist seine Lage noch prekärer geworden. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Es ist, als wäre sie noch hier. Die Porzellankätzchen stehen noch so da, wie sie sie hingestellt hat. All die Vasen, die liebevoll arrangierten Stofftiere, die vielen Fotos in den Regalen. Diese Wohnung steckt voller Erinnerungen an sie. Doch vor einigen Monaten ist sie gestorben. Fünf Jahre lang hat Heinz W. seine Frau gepflegt. „Mehr als 60 Jahre lang waren wir ein Paar“, sagt der 80-Jährige. Er erzählt davon, dass sein Vater anfangs gegen die Beziehung war, und davon, dass sie sich durch nichts auseinander bringen ließen.
Mit ihrem Tod seiner Frau ist es für Heinz W. finanziell noch enger geworden. Seine Frau hatte früher als Näherin gearbeitet und eine eigene kleine Rente zum Haushaltsgeld beigesteuert. Heinz W. sagt, dass die Beerdigung ins Geld gegangen ist und dass er sich jetzt Sorgen darüber macht, ob er die Wohnung in Linden wird halten können. In ein Heim will er nicht. Was soll dann aus seiner Katze werden? Und was aus seinen Möbeln? „Meine Frau war so glücklich, als wir damals den Schleiflack-Schrank bekamen, auch wenn wir ihn lange abbezahlen mussten“, sagt er.
Zusätzlich zu seiner kleinen Rente bekommt Heinz W. Grundsicherung. Er lebt von weniger als 880 Euro im Monat. Fragt man ihn, warum das so ist, weiß er selbst keine Antwort. Sein Vater war Kranfahrer auf dem Bau, Heinz W. ist ein Lindener Arbeitersohn; etwas anderes als ein einfaches Leben hat er sich nie vorstellen können. Die Sozialarbeiterin, die ihn betreut, beschreibt ihn als handfesten, bescheidenen Mann, der klaglos hinnimmt, dass er sich kaum etwas leisten kann – und der jetzt, nach dem Tod seiner Frau, doch an die Grenzen seiner Kraft kommt.
Zynisch gesprochen ist der Fall von Heinz W. zukunftsweisend. Denn das Risiko, im Alter arm zu sein, wächst. Fast 540 000 Senioren in Deutschland bekommen schon heute staatliche Hilfe, weil sie weniger als 750 Euro Rente haben. Studien gehen davon aus, dass im Jahr 2036 jeder fünfte 67-Jährige von Altersarmut bedroht ist.
Wenn Heinz W. über sein Leben spricht, spricht er über seine Arbeit. Nach dem Krieg fand er in Hannover keine Lehrstelle, also ging er in den Ruhrpott und wurde Bergmann. Einen Bergmannsstock hat er noch: „Damit konnte man Klopfzeichen geben, wenn man verschüttet wurde“, sagt er. Er selbst wurde einmal verschüttet und wieder freigebuddelt. Dann kam er 1956 zurück und wurde Maurer: „Das war die Zeit der großen Baustellen, wir haben gewühlt wie die Ochsen“, sagt er stolz. „Das waren gute Jahre.“
Es fällt immer noch leicht, sich den massigen Mann als einen Macher vorzustellen, einen Malocher, der zupackt. Selbstbewusst spricht er von seinem Fleiß: „Bei Wind und Wetter bin ich mit dem Fahrrad von Baustelle zu Baustelle gefahren.“ Seine Augen glänzen, wenn er im alten, hannoverschen Dialekt darüber spricht. Wenn er dann „mein Bein“ sagt, klingt es wie „maan Baan“. Er gebraucht Wörter wie „Flütschepiepen“ und sagt, dass er noch „dat ole Platt jabbeln kann“. Wenn in einem Film die Rolle des Lindener Originals besetzt werden sollte – der liebenswerte alte Herr wäre die Idealbesetzung.
Heinz W. steht kurz auf, um die Katze zu füttern. Dann erzählt er vom Verhängnis. Eines Tages auf dem Bau brach eine Holzstütze, er fiel vom Gerüst und stürzte auf einen Kübel. „Ich bin noch ein paar Meter gegangen, dann fiel ich um – meine Knochen waren lädiert“, sagt er. Er war Ende 30, als sie ihm sagten, dass er sein Leben lang im Rollstuhl sitzen würde. „Aber ich lernte wieder laufen“, sagt er mit Triumph in der Stimme. Sechs Jahre lang ging er an Krücken. Bis heute stehen diese in seiner Wohnung, obwohl er sie längst nicht mehr braucht. Wie eine Trophäe. Wie ein Zeichen dafür, dass sich mit eisernem Willen alles erreichen lässt.
Auf dem Bau konnte er danach nicht mehr arbeiten danach. Er fand nur noch leichte Tätigkeiten, kleine Hausmeisterjobs. „Dabei habe ich immer gerne angepackt“, sagt er. Viel Geld verdiente er nicht mehr. „Ohne diesen Unfall hätte ich sicher eine größere Rente.“
Mit dem Geld kommt er kaum über die Runden. Wenn er einkauft, zählt er die Bierflaschen einzeln ab. Früher hat er gerne Ausflüge gemacht, ehe seine Frau krank wurde. In den Harz oder in den Deister. So etwas ist jetzt nicht mehr drin. „Ich weiß gar nicht mehr, wann der letzte war“, sagt er.
Besonders an den Wochenenden ist es jetzt sehr still in seiner Wohnung. Die Besuche von Bekannten wurden weniger, je länger seine Frau krank war. Und über allem schwebt seit ihrem Tod die Sorge, ob er in seiner Wohnung wird bleiben können: „Aus Linden will ich aber nicht weg – dann würde ich nicht mehr lange machen“, sagt Heinz W. rigoros.
Gerne würde er einmal rauskommen. Eine kleine Reise machen. Vielleicht nach Goslar, wo er als Kind oft die Ferien bei Verwandten verbracht hat. „Das würde ich gerne mal wiedersehen“, sagt er. Es ist der bescheidene Wunsch eines bescheidenen Mannes.