Schlaganfall nach der Geburt des Kindes
Neun Tage nach der Geburt ihres Kindes erlitt Mira P. einen Schlaganfall. Seitdem ist für sie und ihre Familie nichts mehr, wie es war. Ein Fall für die HAZ-Weihnachtshilfe.
Hannover. Auf den ersten Blick ist Familie P. kaum anzusehen, wie beschwerlich und bedrückend ihr Leben ist. Ihre Neubauwohnung hat sie mit wenigen Möbeln geschmackvoll eingerichtet, zumindest den Flur und das Wohnzimmer, wo auch Gäste willkommen sind. Jeden Morgen bringt der 28-jährige Luk* den fünfjährigen Amin in den Kindergarten. Er holt ihn aber nicht nur wieder ab, sondern versorgt auch den Haushalt der kleinen Familie. Er kauft ein, kocht, erledigt Behördengänge. Seine Frau Mira, Amins Mutter, kann ihn aufgrund ihrer Krankheit nur wenig unterstützen. Neun Tage nach der Geburt ihres Sohnes erlitt sie einen Schlaganfall, ausgelöst durch eine Thrombose im Gehirn. Seitdem ist ihre linke Körperseite taub, zum Teil gelähmt. Das aber ist nur ein Teil der Folgen des erlittenen Hirnschlags.
Luk P. glaubte 2006 an das ganz große Glück, als er seine Frau durch Freunde kennenlernte. Der Inder lebte seit 1995 mit seinem Vater in Paderborn, wo er als Koch seinen Lebensunterhalt verdiente. Seine künftige Ehefrau aus dem indischen Bundesstaat Punjab im Osten des Subkontinents hatte Journalistik studiert und verdiente bereits ihr eigenes Geld. In diesem Beruf wollte sie auch in Deutschland arbeiten, sie freute sich auf die gemeinsame Zukunft. Nach der Hochzeit in Indien zog sie zu ihrem Mann nach Paderborn, absolvierte zunächst einen Deutschkursus und ließ ihr Journalistik-Diplom übersetzen. Am 31. August 2007 kam der kleine Amin zur Welt, allerdings acht Wochen zu früh. „Zwei Monate lang lag er in der Kinderklinik in Paderborn“, erzählt sein Vater. „Ich habe ihn dort jeden Tag besucht.“
Seine Frau hatte in den Tagen nach der Geburt häufig unter Kopfschmerzen gelitten. Das ist normal, das kann vorkommen, dachte sie und schluckte Schmerzmittel. Bis sie neun Tage nach der Geburt ihres Kindes, sie hatte gerade Muttermilch in die Klinik gebracht, an Amins Bett zusammenbrach. Vier Wochen lag sie im Koma, viermal wurde die heute 32-Jährige in den folgenden Monaten im Universitätsklinikum Göttingen am Kopf operiert. Diese Eingriffe waren lebensnotwendig, wegen einer Schwellung des Gehirns mussten ihr zeitweilig Teile der Schädeldecke abgenommen werden. Es folgten eine stationäre Rehabilitation und zahllose ambulante Therapien. Später sollte die Familie Krankengymnastik und Ergotherapie aus eigener Tasche bezahlen, „aber dafür hat unser Geld nicht gereicht“, sagt der Ehemann.
Während er all dies erzählt, sitzt seine Frau Mira auf dem Sofa und weint unentwegt. „Alles ist schiefgelaufen“, sagt sie unter Tränen. Das klingt so, als habe sie ihren ganzen Lebensmut verloren. Ihre gesamte linke Körperhälfte ist taub, sogar die linke Seite ihres Gesichts und ein Teil ihrer Zunge. Ihre linke Hand fühlt sich zwar warm an, „aber innen ist alles wie Eis“, erzählt Mira. Hinzu kommen unerklärliche Schmerzattacken in diesem durch den Schlaganfall schwer getroffenen Teil ihres Körpers. Warum, das können die behandelnden Ärzte nicht sagen. „Wie Stromschläge“, beschreibt die junge Frau diese Schmerzzustände. Sie ist geistig hellwach, aber selbst ein neuer Deutschkursus würde ihr schwerfallen, obgleich sie die Sprache so gern besser beherrschen würde. „Aber man muss die Texte nicht nur lesen, sondern auch verstehen. Sobald ich mich konzentriere, werden meine Kopfschmerzen unerträglich“, sagt MiraP. Dabei hätte sie so gern gearbeitet, ihr eigenes Geld verdient. Aber daran ist jetzt wohl nicht mehr zu denken.
Ein Gutachter der Agentur für Arbeit hat ihr attestiert, dass sie nicht wieder ins Berufsleben zurückkehren kann. Er hat ihr ein dickes Formular ausgehändigt, mit dem sie jetzt Rente beantragen soll. Dann muss das Jobcenter nicht mehr für ihre Hartz-IV-Leistungen aufkommen, nur noch für ihren Mann und das gemeinsame Kind. Luk P. würde vor allem gern wieder als Koch arbeiten. Weihnachten 2011 war ihm ein Job in der Region angeboten worden, den er liebend gern angetreten hätte. Weil er aber zunächst eine Wohnung für sich und seine Familie finden musste, was seine Zeit dauerte, wurde die Stelle mit jemand anderem besetzt.
Im Februar dieses Jahres zog die Familie von Paderborn ins Umland von Hannover – in eine für ihre Verhältnisse viel zu teure, wenn auch sehr schöne Wohnung. „Wegen des Jobs musste es doch schnell gehen“, sagt Luk P. entschuldigend. Er weiß, dass er eine günstigere Wohnung finden muss, denn die Kosten für die jetzige fressen nahezu alle unterstützenden Leistungen auf. Für den Lebensunterhalt oder gar für notwendige Anschaffungen bleibt kaum Geld übrig.
Die Familie braucht warme Winterkleidung, sie besitzt weder Tisch noch Stuhl, um daran zu essen. In Amins Kinderzimmer stehen ein Bett, ein Schrank und ein winziger Tisch. „Ein Teppich und Spielsachen für Amin wären gut“, sagt sein Vater verschämt. Amins größter Wunsch aber ist ein Fahrrad. Auch ein Staubsauger und ein Fernseher fehlen. Überhaupt mangelt es an allem, was eine Wohnung wohnlich macht – Gläser und Geschirr, eine Schale für Obst, Bücher und CDs, Gardinen. Das aber sieht man erst auf den zweiten Blick.
Luk P. ist weiter auf der Suche nach Arbeit, möglichst in der Nähe der Wohnung. „Ich kann meine Frau nicht sehr lange allein lassen, weil ich Angst habe, dass wieder etwas passiert“, sagt er. Außerdem muss er sich auch weiterhin um den Haushalt und in vielerlei Hinsicht auch um das gemeinsame Kind kümmern. Seine Frau unterstützt ihn zwar, so gut es geht. „Aber sie vergisst sehr viel, auch wenn ich sie vorher gebeten habe, ganz bestimmte Dinge zu erledigen.“
Das größte Glück für Mira und Luk P. ist ihr Sohn. Das zierliche, ernst blickende Kind mit den großen, braunen Augen kuschelt sich an seine Mutter. „Er ist mein Sonnenschein“, sagt Mira P. „Er massiert meinen Kopf und betet dafür, dass ich wieder gesund werde.“
* Namen von der Redaktion geändert
Von Veronika Thomas